M. Feiner: Siegel der Salzburger Erzbischöfe als Bedeutungsträger

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Titel
Siegel der Salzburger Erzbischöfe als Bedeutungsträger. Eine kulturhistorische Untersuchung


Autor(en)
Feiner, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 95,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Floßdorf, Abteilung Historische Grundwissenschaften und Archivkunde, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Seit den 1980er-Jahren werden Siegel in der sphragistischen Forschung nicht mehr nur als Verschluss- und Beglaubigungsmittel, sondern auch als Kleinkunstwerke verstanden, die Aufschluss über Selbstverständnis und soziale Stellung der siegelführenden Person/Institution geben und somit „Bedeutungsträger“ sind.1 Diesem Ansatz folgt auch Martin Feiner in seiner 2019 an der Universität Graz eingereichten und mit dem Erzbischof-Rohracher-Förderpreis ausgezeichneten Dissertation.2 Ziel seiner Untersuchung ist es, die Siegelführung der Salzburger Erzbischöfe in einer longe durée bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts auszuwerten, Stil- bzw. Traditionsbildung und Innovationen kenntlich zu machen und ihren Bedeutungsgehalt als Repräsentationszeichen für den jeweiligen Kirchenfürsten aufzuzeigen. Damit ergänzt die Monografie das im Jahr 2017 online gestellte Siegelrepositorium3 sowie den 2022 unter Mitarbeit Feiners veröffentlichten Siegelkatalog4, die im Rahmen des vom Austrian Science Fund (FWF) geförderten Projekts „Die Siegel der Bischöfe der Salzburger Metropole“ (2010–2017) entstanden sind.

Feiners schlanke Studie schreitet chronologisch voran und ist in 27 Kapitel untergliedert, die bis Erzbischof Wlodizlaus (1265–1270) jeweils einem Siegelführer gewidmet sind; ab Kapitel 17 und damit für die Zeit ab dem Spätmittelalter werden die Siegel nach ikonographischen Kriterien zu kürzeren Abschnitten zusammengefasst, die im Wesentlichen chronologisch aufeinander folgen. Die Einleitung (S. 11–20) gibt den Forschungsstand wieder, erläutert den Aufbau des Siegelkatalogs und konturiert die Leitfragen der Arbeit (S. 20): Welche Entwicklungen lassen sich für die Siegel der Salzburger Erzbischöfe und ihrer Suffragane aufzeigen? Kommt dem Metropoliten eine Vorbildfunktion bei der Siegelbildwahl zu oder sind Innovationen auf der Ebene der Suffragane zu verorten? Inwiefern ist die Siegelkunst von zeitgenössischen künstlerischen Stilentwicklungen beeinflusst? Welche Bedeutung ist dem Siegel für den jeweiligen Siegelführer zuzusprechen? Daran schließen die einzelnen Kapitel mit gelegentlichen Exkursen zu Suffraganen, Siegeltypen und Insignien (S. 21–193) sowie ein kursorischer Ausblick auf die Siegelbildentwicklung bis in die Gegenwart (S. 194–209) an. Das Fazit (S. 210–220) resümiert auf Grundlage von 189 Siegeln die Entwicklung der Form, Größe, Schrift, Titulatur und des Bildes. Ein klassisches Personen- und Ortsregister fehlt leider. Im Anhang wird lediglich eine nummerierte Siegelliste und eine nach Bistümern geordnete alphabetische Auflistung genannter Personen beigefügt, die aber beide nicht auf die Seitenzahlen des Bandes verweisen.

Im Großen und Ganzen entspricht die aufgezeigte Entwicklung der zweifelsfrei echten Salzburger Siegel dem auch von rheinischen, sächsischen und bayerischen Bistümern her bekannten Muster. Von Beginn der Siegelführung um die Jahrtausendwende an diente das Pallium unter Ergänzung weiterer Attribute (Krummstab, Evangelienbuch) oder bedeutungstragender Gesten (Segensgestus) der Kennzeichnung des erzbischöflichen Rangs des Salzburger Metropoliten (S. 38–45). Unter Konrad I. (1106–1147) wurde die ursprünglich den Herrschern vorbehaltene Thronbilddarstellung übernommen, die den Erzbischof als „Kirchenfürsten“ zeigt und mit ersten Ansätzen zur Territorialisierung zusammenfällt (S. 61–65). Heraldische Zeichen im Siegelbild finden sich zuerst auf dem Hauptsiegel Weicharts von Polheim (1312–1315); auf dem Hauptsiegel Pilgrims II. von Puchheim (1365–1396) sind erstmals gleichzeitig Bistums- und Familienwappen nachweisbar, womit der Siegeszug der Wappensiegel eingeläutet wird (S. 128–131, 140–145). Auch Einflüsse der Renaissancekunst schlagen sich in der Prunkentfaltung der Siegelbilder nieder (S. 177–180). Auffällig ist, dass Diözesanstrukturen die Verbreitung von Bildmotiven beeinflussen konnten und dass innovative Siegelbilder meist auf individuelle Faktoren wie die Sozialisation des Erzbischofs oder seine Zugehörigkeit zu einer Ordensgemeinschaft zurückzuführen sind (S. 101–104, 110, 132–135).

Diese Sachverhalte hat Feiner ohne Zweifel zutreffend aus dem Material herausgearbeitet. Im Detail jedoch stoßen eine Reihe inhaltlicher Fehler und ein ziemlich salopper Umgang mit grundwissenschaftlichen Fachtermini auf. Hier nur einige Beispiele: Die nur für Weihehandlungen verwendeten Reliquiensiegel der Kölner Erzbischöfe Wichfried und Brun werden fälschlicherweise als Urkundensiegel5 bezeichnet (S. 23), Urkunden teils zweifelhaft datiert6 und beurteilt7, Siegel falsch identifiziert8; hinzu kommen fragwürdige Begriffsbildungen („Urkundeninnovation“ [S. 31], „Privatsiegel“ [S. 189]). Insgesamt zeigt sich die Untersuchung insbesondere bei herangezogenen Vergleichsbeispielen nicht auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes, was auch das überschaubare Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 226–236) offenbart.9 Zudem scheitern Feiners Versuche, erwiesene Siegelfälschungen zu rehabilitieren: Dies trifft insbesondere auf das Brustbildsiegel Friedrichs I. (958–991) (S. 25–37), das Thronsiegel Balduins (1041–1061) sowie das sicher im Kloster Brauweiler gefälschte Thronsiegel Erzbischof Pilgrims von Köln10 (1021–1036) zu (S. 46–54). Ein grundlegendes methodisches Manko bei der kritischen Bewertung der Siegel liegt in der mangelnden Auseinandersetzung mit der jeweiligen Urkundenüberlieferung, die für die Beantwortung der Echtheitsfrage notwendig gewesen wäre.11 Darüber hinaus bleibt unklar, warum der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits erschienene Siegelkatalog nirgends zitiert, sondern mit Nummern des Online-Repositoriums gearbeitet wurde, dessen Suchfunktion nicht eben benutzerfreundlich ist. Kapitel 19.3–4, 21.3 und 22.2 (S. 137–139, 152f., 156f.) kommen ganz ohne Anmerkung aus, 17.2–17.4, 21.3, 22.5 und 22.7–8 bieten kaum einen Mehrwert gegenüber dem Katalog. Die Abbildungen sind im Vergleich zum Katalog, der im gleichen Verlag erschienen ist, von deutlich geringerer Qualität.

Abschließend ist festzuhalten, dass Feiner immerhin die erste umfassende und zusammenhängende Darstellung der Siegel der Salzburger Erzbischöfe bietet, die die generelle Entwicklung auf der Grundlage des auch online zugänglichen Siegelrepositoriums zutreffend nachzeichnet. Zudem eröffnen seine Ausführungen zur Renaissancezeit und sein Ausblick bis in die Gegenwart Zugänge zu einem sonst eher von der sphragistischen Forschung vernachlässigten Zeitraum. Warum Siegel als Bedeutungsträger zu verstehen sind und eine ergiebige Quelle für mentalitäts- bzw. kulturgeschichtliche Fragestellungen darstellen, wird eindrücklich dargelegt. Dennoch fallen die quellenkritische Erschließung und Interpretation des umfangreichen Materials stellenweise unzureichend aus, sodass manches Kapitel einer Neubewertung bedarf.

Anmerkungen:
1 Grundlegend hierzu: Toni Diederich, Zum Quellenwert und Bedeutungsinhalt mittelalterlicher Städtesiegel, in: Archiv für Diplomatik 23 (1977), S. 269–285.
2 Siehe https://kirchengeschichte.uni-graz.at/de/neuigkeiten/detail/article/dr.-martin-feiner-erhaelt-erzbischof-rohracher-foerderpreis/ (18.02.2024).
3https://gams.uni-graz.at/context:epis?mode=about (18.02.2024).
4 Rudolf K. Höfer / Martin Feiner, Die Siegel der Erzbischöfe und Bischöfe in der Salzburger Metropole, Wien 2022.
5 Zu den Wichfried-Urkunden neuerdings der von Feiner nicht berücksichtigte Beitrag von Andrea Stieldorf, Erzbischof Wichfried von Köln (924–953) und die Frauenkonvente St. Ursula und St. Cäcilien. Die Anfänge erzbischöflich-kölnischer Urkunden in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts, in: Sebastian Roebert u.a. (Hrsg.), Von der Ostsee bis zum Mittelmeer. Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte für Wolfang Huschner (Italia Regia 4), Leipzig 2019, S. 77–89.
6 Die Datierung der Urkunde von St. Florin mit dem Siegel Erzbischof Heinrichs I. von Trier (956–961) auf das Jahr 959 (S. 24) beruht auf der Annahme, dass Kirchweihen nur sonntags erfolgt seien, was inzwischen widerlegt wurde; vgl. Roman Deutinger, Die ältesten mittelrheinischen Zehntterminationen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 54 (2002), S. 11–36, hier S. 16f.
7 Die Beurteilung der Gurker Spuria (S. 47f.) berücksichtigt nicht die Untersuchung von Johannes Sacherer, Die Stiftungsurkunde des Frauenklosters der Gräfin Hemma zu Gurk. Eine „Verunechtung“ mit echtem Inhalt? in: Carinthia I. Mitteilungen des Geschichtsvereins für Kärnten 198 (2008), S. 95–118.
8 Bei dem vermeintlichen Thronsiegel Erzbischof Poppos von Trier (1016–1047) handelt es sich um das an einem Spurium für die „Rebellen“ von Wasserbillig überlieferte Konventssiegel von St. Maximin, vgl. Andrea Stieldorf, Die frühen Siegel der Abtei St. Maximin bei Trier, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 48 (2002), S. 81–103. Aber auch die Interpretation des Elektensiegels Friedrichs II. (1270–1284) als Bildnis des heiligen Virgils von Salzburg (S. 120f.) ist unzutreffend; bei der dargestellten Person handelt es sich um den Siegelführer selbst, der zudem kein Kirchenmodell, sondern ein Evangelienbuch vor dem Körper hält.
9 Hier nur einige Beispiele: Es fehlt aus sphragistischer Forschungsliteratur jeder Titel von Brigitte Miriam Bedos-Rezak sowie jüngere Studien Andrea Stieldorfs. Darüber hinaus führt der Rückgriff auf veraltete, teils überholte Forschungsliteratur zur Reproduktion von inhaltlichen Fehlern: Bei seinem Exkurs zur Mitra (S. 73) übernimmt Feiner die von Joseph Braun, Die liturgische Gewandung im Occident und Orient nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Freiburg im Breisgau 1907, S. 458–467 suggerierte chronologische Abfolge von Mitrenformen, die inzwischen von Heidi Blöcher, Die Mitren des hohen Mittelalters, Riggisberg 2012, S. 32–45 widerlegt wurde. So auch im Kapitel 12.1 zu den zwei „Ministersiegeln“ Konrads III. von Salzburg (1177–1183) (S. 87–90), wo Feiner auf die längst überholten Ausführungen von Jakob Heimen, Beiträge zur Diplomatik Erzbischof Engelberts des Heiligen von Köln 1216–1225 (Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung N.F. 1), Paderborn 1903 verweist, ohne Hans Fuhrmann, Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Köln im 13. Jahrhundert (1238–1297) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 33), Siegburg 2000, zu konsultieren.
10 Maßgeblich bleibt Rainer Kahsnitz, Imagines et Signa. Romanische Siegel aus Köln, in: Anton Legner (Hrsg.), Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler in der Romanik in Köln, Bd. 2, Köln 1985, S. 21–60, hier S. 26f. zu D5.
11 Der in der Überschrift des Kapitels 4.2 als „Siegelfälschung im Namen Hartwigs“ (991–1023) bezeichnete Wachsabdruck ist unikal an einem Spurium aus der Amtszeit Erzbischof Gebhards (1060–1088) überliefert. Feiner postuliert, dass der Wachsabdruck von einer als echt anzunehmenden Vorlage auf das Spurium übertragen worden sein könnte, ohne sich mit der Befestigung des Siegels oder aber dem Inhalt sowie den äußeren Merkmalen der besagten Urkunde auseinanderzusetzen. Sein Fazit, dass es offenbleibe müsse, ob der Wachsabdruck echt oder gefälscht sei, widerspricht seiner eindeutigen Beurteilung in der Umschrift (S. 42). Auch bei der Beurteilung des Friedrich-Siegels, das unikal an einem zwischen auch aus dem Episkopat Gebhards stammenden und zwischen 1060 sowie 1088 angesetzten Spurium überliefert ist, widmet sich Feiner nicht dem discrimen veri ac falsi (S. 26f., 34f.). Feiner schließt seine Argumentation mit der Feststellung, dass die Beantwortung der Echtheitsfrage nicht möglich sei, um dann einen Satz später zurückzurudern: „Das Siegel ist sehr wohl zeitgemäß und es kann sich aufgrund der vorliegenden Untersuchung um ein echtes Siegel handeln“ (S. 37).